Sensationell ist die erste deutsche Luftlinie zwischen Weimar und Berlin. In zwei Stunden werden die aktuellsten Zeitungen, wichtige Briefe und sogar Flugpassagiere in die Hauptstadt und zurück befördert. Auch die Landwege werden ausgebaut, täglich verkehren Parlamentszüge und das Straßennetz in Weimar wird modernisiert.
Das Weimarer Nationaltheater bietet die Bühne für die Abgeordneten. In Windeseile wird es umgebaut: Die Sitzreihen im Parterre werden durch Gänge für die einzelnen Fraktionen unterbrochen, für das Präsidium werden die Stühle aufwändig von Berlin nach Weimar transportiert. Das Foyer wird zum Pausenraum. Viele Nebenräume dienen zu Besprechungen, aber auch als Bibliotheks- und Leseräume.
Für die nationale und internationale Presse wird der gesamte zweite Rang reserviert. Die Garderoben in den Rängen werden zu Telefonzellen umgebaut, damit Journalisten von dort aus schnell ihre Nachrichten an ihre Redaktionen übermitteln können. Die Platzkarten für Zuschauer sind heiß begehrt. Für sie ist der erste und dritte Rang vorgesehen.
Die Aula einer Mädchenoberschule wird zum Telegrafenamt, in dem zahllose elektromagnetische Telegrafiergeräte gleichzeitig rattern. 423 Abgeordnete, Angehörige des diplomatischen Korps und zahllose Journalisten müssen telefonieren, Telegramme verschicken oder die neuesten Meldungen aus Berlin erhalten. Für Journalisten werden im Sonderpostamt im Theater Fernsprechanlagen bereitgestellt.
Die Nationalversammlung in Weimar steht von Beginn an im Interesse der internationalen Öffentlichkeit. Hier sind einige Vertreter ausländischer Zeitungen vor dem Theater abgebildet. Die meisten sind noch misstrauisch gegenüber dem demokratischen Eifer der Deutschen. Noch vor kurzem war Deutschland ein obrigkeitshöriger Kriegsgegner.
Weimar gleicht einer Hochsicherheitszone: 7.000 Freikorpssoldaten sind in der Stadt. Sie sollen die Reichsregierung beschützen und für Ruhe und Ordnung sorgen. Um „unerwünschte Demonstrationszüge aufzuhalten“ stehen am Theater drei Kompanien, die rund um das Gebäude unauffällig Maschinengewehre aufgestellt haben. Sie haben den Befehl, im Notfall die Eingänge des Theaters unter Beschuss zu nehmen. Auch eine Fliegerabteilung zählt zum Freiwilligen Landesjägerkorps mit zehn Aufklärungs- und fünf Kampfflugzeugen.
Während der 197 Tage Weimarer Nationalversammlung müssen sich die Bewohner der Stadt ständigen Passkontrollen stellen. Der Schutz der Nationalversammlung beginnt an den Toren der Stadt und geht bis vor die einzelnen Gebäude, die von der Regierung und den Abgeordneten genutzt werden.
Auch das ist Weimar während dieser Zeit: Reichspräsident Ebert spaziert mit seiner Frau durch den winterlichen Park an der Ilm. In Berlin wäre solch Spaziergang undenkbar gewesen. Die meisten Regierungsmitglieder und Abgeordneten lassen ihre Ehepartner allerdings zu Hause. So bleibt mehr Zeit für die Arbeit.
Weimar ist eine kleine Stadt, da bleibt es nicht aus, dass man sich nach getaner Arbeit im Wirtshaus wiedertrifft. Zuweilen entwickeln sich sogar enge soziale Kontakte zwischen politischen Gegnern. Eine Berliner Zeitung kommentiert hierzu: „Unterschiedslos sind die verschiedenen Fraktionen im Bunde mit den Journalisten bemüht, die Weinvorräte der Stadt zu vertilgen - der Genius Loci Weimars ist feucht.“