So idyllisch wie Weimar auf dieser Postkarte aussieht, war es Anfang 1919 sicherlich nicht. Der Erste Weltkrieg hat bei den Bewohnern der Stadt tiefe Spuren hinterlassen. Als Residenzstadt lebt Weimar vom Hof und der Verwaltung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Mit der Revolution kam das Ende der Monarchie. Die Vertreter der Nationalversammlung werden deshalb mit gemischten Gefühlen empfangen.
Die Abgeordneten haben die Wahl, in einem der Hotels der Stadt zu übernachten oder in Privatunterkünften unterzukommen. Der Anreiz für die Weimarer, ein Zimmer zu vermieten, ist groß: So erhalten sie mehr Kohle zugeteilt, als ihnen per Kohlenkarte zusteht. Auch die zugelöteten Gasbadeöfen werden wieder geöffnet, wenn sie einen Abgeordneten bei sich aufnehmen. Den Luxus eines warmen Bades erträumt sich manch ein Weimarer zu jener Zeit.
Ab dem 5. Februar dürfen nur noch Personen, die eine zuvor erteilte Einreiseerlaubnis erhalten haben, die Stadt betreten. Nicht der direkteste Weg für einen Händler, der auf dem Weimarer Markt nur seine Gurken verkaufen möchte. Der Passzwang führt zunehmend zum Unmut der Weimarer Bevölkerung, deren Alltagsleben dadurch erheblich erschwert wird.
Ursprünglich sollten es zwei Monate werden. Am Ende werden es über sechs. Reichspräsident Ebert zeigt sich zum Abschied der Stadt gegenüber erkenntlich: In seinem Dankesschreiben an die Stadtverwaltung betont er die genossene Gastfreundschaft. Die Weimarer sind erleichtert, als die Nationalversammlung Ende August 1919 zurück nach Berlin geht. Die militärische Absperrung der Stadt, die Wohnungsnot und die Lebensmittelknappheit haben die Gastfreundschaft der Bewohner stark auf die Probe gestellt.